Lothar und Günther Urbanczyk

Günther Urbanczyk (geboren 1900) studierte Jura und Geschichte und arbeitete nach seinem juristischen Examen 1927 in der 1903 begründeten Anwaltskanzlei seines Vaters Hans Urbanczyk am Marktplatz 23a, bis er im Oktober 1944 eine Ladung der Gestapo bekam, gemeinsam mit seinem Bruder Lothar.

Günther Urbanczyk. Foto: Stadtarchiv Einbeck
Lothar Urbanczyk. Foto: Stadtarchiv Einbeck

Lothar Urbanczyk (geboren 1903) absolvierte eine Banklehre und ein Studium der Rechts- und Staatswissenschaften in Berlin und Göttingen. Aus politischen Gründen wurde er nach der Machtergreifung Hitlers 1933 trotz des bestandenen Examens nicht mehr zum Staatsdienst zugelassen. Um seinen Lebensunterhalt zu sichern, gründete er im Juni 1935 eine kleine Firma für Reinigungsmittel, deren Produkte er bis Ende 1944 vertrieb, bevor er zur Schließung gezwungen wurde.

Die Brüder Lothar und Günther Urbanczyk, die eine jüdische Mutter hatten, standen im Februar 1939 das erste Mal auf der Einbecker Liste der „Juden und Judenabkömmlinge“ als Mischlinge I. Grades. Ab Sommer 1942 wurde über einen verschärften Arbeitseinsatz von „jüdischen Mischlingen“ und „jüdisch Versippten“ in Arbeitsbataillonen nachgedacht, jedoch erst Ende 1943 entschied Fritz Sauckel, „Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz“, den Arbeitseinsatz von „Mischlingen“ und „jüdisch Versippten“ als Zwangsarbeiter, angesiedelt in der Organisation Todt, unterstellt der Gestapo Hildesheim. Im Hils, nahe bei Lenne, wurde ab September 1944 ein Arbeitslager mitten im Lenner Wald errichtet.

Die Organisation Todt (O.T.), benannt nach dem Leiter Fritz Todt, war für Bauprojekte zuständig, ab Sommer 1943 unter anderem verantwortlich für die Untertageverlagerung von kriegswichtiger Industrie. Die Zwangsarbeiter der so genannten O.T. bestanden hauptsächlich aus Ausländern, Militärangehörigen, KZ-Häftlingen, Strafgefangenen, Juden und „jüdischen Mischlingen bzw. jüdisch Versippten“. Mehrere tausend Zwangsarbeiter der unterschiedlichsten Nationen lebten zum Kriegsende in diesem Lager, streng aufgeteilt in einzelne Nationen, in politische Häftlinge und Juden.

Die Brüder Urbanczyk wurden Mitte Oktober 1944 zur Gestapo nach Hildesheim geladen und ab dem 17. Oktober dem Lager Lenne und dort der Bauunternehmung Ernst Kohlrautz AG  für Tiefbauarbeiten zugeteilt, die zum Bau von circa 60 Wohn- und Wirtschaftsbaracken ausgeführt werden mussten. Im Lenner Lager sollte das Jagdflugzeug Focke-Wulf Ta 152 in einer Waldfabrik über Tage errichtet werden. Dies war ein Projekt der Luftwaffe gemeinsam mit Volkswagen.

Die Arbeit des Barackenbaus im unwegsamen Waldgebiet war sehr hart, die Verpflegung unzureichend. Lothar Urbanczyk erkrankte Ende März 1945 schwer und kam in das Krankenhaus Einbeck. Er kehrte nicht ins Lager zurück, sondern wurde versteckt und erlebte die Befreiung durch die Alliierten in Einbeck. Sein Bruder Günther wurde Anfang April 1945 von den Alliierten aus dem Lager Lenne befreit.

Das Lager hat Lothar und Günther Urbanczyk nicht gebrochen, sondern dazu gebracht, sich für eine stabile Demokratie und ein soziales Gemeinwesen stark zu machen. Neben ihrer anwaltlichen Tätigkeit waren beide viele Jahrzehnte politisch engagiert. Die Sozialdemokratie wurde ihre „innere Heimat“ und sie füllten über die Jahrzehnte viele Funktionen aus: Lothar Urbanczyk im Rat der Stadt Einbeck, im Kreistag, im Landtag und als Landrat des Landkreises Einbeck. Viele Jahre war er Vorsitzender des Rechts- und Verfassungsausschusses des Niedersächsischen Landtags.

Günther Urbanczyk engagierte sich ebenfalls viele Jahre als Ratsherr in Einbeck, aber auch als Vorstandsmitglied, später als Vorsitzender der Rechtsanwalt- und Notarkammer in Celle und als Mitglied im Präsidium des Bundesnotarkammer.

Lothar Urbanczyk bekam für sein außergewöhnliches Engagement bei der Mitarbeit am VW-Gesetz das Große Verdienstkreuz des Niedersächsischen Verdienstordens und das Große Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland verliehen. Günther Urbanczyk erhielt das Bundesverdienstkreuz erster Klasse.

Trotz ihrer Diskriminierung als jüdische Mischlinge, die im Nationalsozialismus als Menschen zweiter Klasse angesehen wurden, trotz Verfolgung, Ausbeutung als Zwangsarbeiter, eine Tätigkeit, die auch den Tod hätte bedeuten können, entschieden sich die Brüder, ihr Dasein nach dem Krieg in den Dienst der Gemeinschaft in Form des politischen Engagements zu stellen und sich nicht abzuwenden.

Günther Urbanczyk starb 1974, sein Bruder Lothar 1986 als angesehene Bürger in ihrer Heimatstadt Einbeck.